Was sagt die Stimme Gottes einem, der mitten in der unendlichen Wüste nach seinem Seelenheil sucht? Wie lautet die Moral von der Geschicht´, wenn der Schwarze Ritter scheinbar sinnlos über dreißig Weiße Ritter niedermetzelt? Wie klingt ein Lied, mit dem ein Schuhmacher und ein Schreiner das Gedicht eines Hufschmieds für seine angebetete aber unerreichbare Liebe vertonen? Wir waren auf einem Bänkel-„Konzert“…
Erst die Sträucher, dann die Musik
Am vergangenen Samstag haben wir in der Baumschule nach Gehölzen für unseren Garten gesucht, im Vorgarten ein paar Sträucher gepflanzt und waren eigentlich schon ziemlich müde. Wir rafften uns nochmals auf und fanden in den engen Gassen der abendlichen Altstadt schließlich auch das Haus mit dem Drachen und sonstigen steinernen Figuren auf dem Dach. Hierhin wurden wir eingeladen von Toni, dem Besitzer eines italienischen Restaurants, dessen Leidenschaft die Musik ist. In dem riesigen, von außen ansonsten recht unscheinbaren Haus, betreten wir einen Saal, der mit seiner unverkennbar anthroposophischen Gestaltungsvielfalt aus unterschiedlichen Farben, rätselhaften Skulpturen und irgendwie mittelalterlich anmutenden Formen und Materialien allein schon tief beeindruckt.
Wie klingt Bänkelmusik?
Was bei diesem Bänkel-Liederabend musikalisch auf uns zukommt? Wir wissen es nicht. Nur, dass Toni mit drei Musikerkollegen eine Formation bildet, die in der Tradition des im Prinzip schon auf die Antike zurückgehenden und in Europa Jahrhunderte lang gepflegten Bänkelgesangs einen ganz außergewöhnlichen Liederabend plant: Vier Männer an ihren teilweise ziemlich ausgefallenen Instrumenten – und 13 Zuhörer, die allesamt einer mehr oder weniger spontanen, mündlichen Einladung gefolgt sind.
Fremde auf dem Marktplatz
Zwei der Gäste hat Toni kurz vor dem Konzert kurzerhand auf der Straße angesprochen und eingeladen. Jetzt sitzen wir, das Publikum, einander weitgehend fremd, gemeinsam da und die gespannte Erwartung füllt spürbar den Raum. Und irgendwie ist es doch auch wie bei den früheren Bänkelsängern, die auf einer Holzbank (Bänkel) stehend, auf Marktplätzen die Menschenmengen mit musikalischen, bildlich dargestellten Geschichtenerzählungen unterhielten – und sie auch über kleine und große Ereignisse von Leben, Liebe und Tod der Zeitgenossen informierten.
Hören wir die Bilder?
Altgriechisch, persisch, hebräisch, spanisch, italienisch und in vergangenen Sprachen, die heute nicht mehr existieren, singt Toni das, was wir am ehesten als Moritaten und Balladen beschreiben würden; allerdings ist hier das Genre gemeint, die Musik hat zum Glück nichts mit unserem Mariechen gemein, das im Liede weinend im Garten saß… Vor jedem Musikstück erzählt Bänkelsänger Toni dessen Geschichte. Die Geschichte des Inhalts, und oft auch die Geschichte des Liedes selbst. Wir verstehen nicht den Text. Aber das Kopfkino läuft in den buntesten Farben. Unaufhörlich. Und eindrucksvoll. Sehen wir die Bilder? Hören wir die Bilder? Der Abend ist grandios!
Prostituierte, Kaiser und Sarazenen
Die Musik zaubert uns die Geschichten lebendig vor Augen: Von der Prostituierten, die in Sizilien ein ganzes Dorf in Atem hält, von dem kreuzfahrenden Kaiser, der die große Schlacht mit den Sarazenen in sengender Wüstensonne beendet, noch bevor sie begonnen hat. Von dem im Mittelalter kriegsgefangenen kleinen Jungen, der elf Jahre auf der Galeere überlebt, begnadigt wird, selbst zum mächtigen Kriegsherrn und dann zu einem der mächtigsten Männer im Orient seiner Zeit aufsteigt.
Instrumentenvielfalt für Balladen und Flamenco
Wie kann man die Musik beschreiben, die die vier Künstler mit klassischer und Westerngitarre, mit Keyboard, Akkordeon, Kontra- und E-Bass sowie den heute eher exotischen Zupfinstrumenten namens Chitarra Battente und Vihuela darbieten? Dazu die eindringliche Erzähl- und Singstimme, mit der Toni die Zuhörer in unterschiedlichsten Tonlagen in seinen Bann zieht. Manchmal klingt es nach Sprechgesang, Zigeunermusik, oft orientalisch, auch klassisch, und dann steigert sich ein Stück von der stillen Ballade zum mitreißenden Flamenco.
Bänkelsang bringt zum Lachen und Weinen
Nun, ich bin ja Bau-Blogger und kein Musikkritiker. Also überlasse ich die rein musikalische Beurteilung gerne anderen. „Popular trifft Klassik“, sagen die Künstler über ihre Musik. „Wir bringen die Menschen zum Lachen, manchmal auch zum Weinen“, erzählt Toni in der kleinen Pause im nächtlichen Innenhof zwischen den alten, spärlich beleuchteten Fachwerkhäusern. Ja, wir lachen, wenn Toni mit trockenem Humor die Geschichten von dem tötenden Schwarzen Ritter erzählt, dem man, so die Moral von der Geschichte, besser „nicht auf den Sack geht“.
Von Mussolini und dem Hufschmied
Und wir werden sehr, sehr nachdenklich, als er von der Minderheit im südöstlichen Italien berichtet, der er in der alten Heimat angehört. Er und seine Landsleute stammen von den Spartanern ab, durften unter Mussolini ihre eigene, archaisch anmutende Sprache nicht sprechen. Doch sein Großvater, der Schreiner, und dessen Freund der Schuhmacher (oder war es gerade anders herum?) hatten das Liebesgedicht des unglücklichen Hufschmieds in eben diesem, auf dem Griechischen basierenden „Katoitalisch“ vertont. Und Jahrzehnte später präsentiert Bänkelsänger Toni heute dieses Lied in dieser Sprache, die er zwar singen, wegen des damaligen Verbots nicht aber frei sprechen kann.
Bänkelmusik am 1. November 2018
Am Donnerstag, 1. November 2018 um 19 Uhr, eröffnen Harald Gassner, Tomasso Ieva, Toni Maggiore und Manfred als „Libera compagnia dell´Arte“ (dt. „freier Bund der Kunst“) die 8. Internationalen Gitarrentage in der Peterskirche im schwäbischen Vaihingen an der Enz.
Info:
https://www.gitarrentagevaihingenenz.jimdo.com
https://www.vaihingen.events/9073-8-internationale-gitarrentage-9073
Fotos: Mario Brunner Photography, Vaihingen/Enz