WM 2018: Deutschland vs. Südkorea – eine große Leichenschau?

Public Viewing 2018

Da nahmen wir doch am gestrigen Mittwoch (27.6.2018) ab 15 Uhr fast alle „Agentur-frei“, fuhren schnell zum Public Viewing – und dann das: Ein Spiel unserer Jungs, das einfach nur zum Weggucken war. Abends hörte ich dann, dass der bei uns üblicherweise für Leinwand-Fußball & Co. verwendete Begriff im englischen Sprachraum auf die öffentliche Aufbahrung der Leiche von gekrönten Häuptern und sonstigen Prominenten zurückginge. Naja, dass die Niederlage unserer Nationalkicker im WM-Spiel gegen die Südkoreaner für den deutschen Fußball ein Begräbnis allererster Klasse war, ist ja wohl unstrittig. Aber das mit der „Leichenschau“? Ich weiß nicht…

 

Weil man das heute so macht, habe ich gleich wild drauflos gegoogelt. Bereits nach den ersten drei gefundenen Texten war meine Verwirrung perfekt. Statt Antworten gibt es dazu im Netz jede Menge widersprüchliche Aussagen und Behauptungen, die mehr oder weniger gut belegt sind. Und es finden sich sogar Widersprüche innerhalb von einzelnen Onlinebeiträgen. Also, was beziehungsweise wem soll ich nun glauben?

 

Die öffentliche Besichtigung

Damit ihr wisst, wovon ich spreche, zitiere ich mal ausführlich aus drei beispielhaften Beiträgen im Netz: Bereits im Jahr 2010 befasst sich der Autor hier mit dem Thema und meint: „Dass public viewing im Englischen im Prinzip genau das bedeutet, was man erwarten würde, wenn man die Wörter public und viewing zu einem Kompositum zusammensetzt: das öffentliche Angucken von allem Möglichen. Dann schränkt er allerdings ein: „Daraus will ich gar nicht schließen, dass sich Public Viewing nicht auch mal auf das öffentliche Besichtigen einer Leiche beziehen könnte.“ Um am Schluss doch festzustellen: „Aber die Behauptung, dass der Begriff sich „eigentlich“ oder „ursprünglich“ oder „für englische Muttersprachler“ an erster Stelle auf eine Leichenbeschau bezieht, ist schlicht und einfach Unsinn.“

 

So sieht es der Muttersprachler

Diesem Fazit wiederum widerspricht ein Kommentator mit der Muttersprache Englisch: „Sorry, but as a native English speaker the words “public viewing” do make me think of a dead body which is laid out for the public to view. “Und er verweist seinerseits auf den großen amerikanischen Fernsehsender: „CNN used this term when writing about Michael Jackson.“

 

Ist „Aufbahrung“ richtiger?

Ähnlich dialektisch ein Beitrag aus dem Jahr 2014. Der Schreiber betont, „dass „Public Viewing“ auch im Englischen ganz andere Bedeutungen haben kann und im Zusammenhang mit fast allem verwendet wird, was öffentlich zugänglich gemacht wird oder besichtigt werden kann.“ Um wenig später folgende Aussage zu treffen: „Tatsächlich sprechen Amerikaner von einem „Public Viewing“, wenn ein meist prominenter Verstorbener aufgebahrt wird, damit die Öffentlichkeit von ihm Abschied nehmen kann.“ Also solle man Public Viewing „nicht als Leichenschau, sondern als Aufbahrung übersetzen“.

 

Ein Akt zum Abschiednehmen

Als letztes Beispiel ein Onlinetext vom 14. Juni 2018. Hier steht´s klipp und klar: „Public Viewing. Wir verstehen darunter das gemeinschaftliche Verfolgen von live übertragenen Großereignissen an öffentlichen Orten. Englischsprachige hingegen verwenden den Begriff hauptsächlich für die Leichenschau.“ Also steht der Begriff jenseits der Teiche tatsächlich „hauptsächlich“ für eine prominente Leichenschau? Oder hat sich die Autorin nur von einer vermeintlich falschen Quelle irreführen lassen?

 

LEO´s Übersetzung

Jetzt kann nur noch LEO helfen, denke ich, unser tierisch starker Online-Übersetzer überhaupt. Also geben wir public viewing hier  ein. Ergebnis: public viewing (amer.) = Ausstellung eines aufgebahrten Leichnams. Sollen wir das glauben? Weiß nicht.

 

Leblose Vorstellung auf dem Platz

Was ganz sicher ist: Der Mittwoch, 27. Juni 2018, war beziehungsweise ist ein historischer Tag. Das erstmalige Ausscheiden der deutschen Fußballnationalmannschaft in der Vorrunde eines Weltmeisterschaftsturniers wird in die Annalen (zumindest in die fußballerischen) eingehen. Wir müssen uns eingestehen, dass wir über 90 Minuten lang öffentlich eine gänzlich leblose Vorstellung der deutschen Fußballer-Prominenz anschauten – und dass wir von allen Titelträumen Abschied nehmen mussten. So stellt sich die allerletzte Frage: Hat dieses WM-Spiel der Deutschen jetzt nicht doch etwas mit Public Viewing im anglo-amerikanischen Sinne zu tun?